Prof. Dr. Wald: Ein kluges Recruiting auf wissenschaftlicher Basis zahlt sich langfristig aus

In unserer neuen Interviewreihe mit ExpertInnen aus dem Personalbereich, stellen wir regelmäßig interessante Menschen vor. Wir sprechen heute mit Prof. Dr. Wald von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.

FYLTURA: Prof. Wald, Sie sind seit über zehn Jahren (seit 2009) Professor für Personalmanagement. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Berührungspunkte mit Personalarbeit?

Diese „Berührungen“ in unterschiedlicher Stärke gab es nach meinem Studium vor allem im Rahmen eines Personal-Trainee-Programms der Altona AG, das ich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre bei der Milupa AG absolvieren konnte. Hatte ich mich vorher theoretisch mit Personalfragen beschäftigt, so bekam ich bei Milupa die volle Ladung Personal auf einen Schlag. Dies begann mit der Erstellung eines „EDV“-Schulungskonzepts für Mitarbeiter und Führungskräfte, setzte sich mit Konzepten für die Gewinnung von Azubis (damals ohne jegliche Social Media) und der Gestaltung eines TV-Trainings für Mitglieder der Vorstands fort und reichte bis zum aktiven Kennenlernen von Maßnahmen der sogenannten Streikabwehr.

Gibt es Themen, die Sie im Personalbereich besonders interessieren?

Da existieren viele Themen, da ich mich eher als HR-Generalist verstehe. Zu nennen sind jedoch das Recruiting mit dem m.E. nach wie vor wichtigen Thema Candidate Experience bzw. Journey, Fragen der künftigen Organisation von Personalbereichen sowie der Einsatz digitaler Medien bei der Zusammenarbeit und der Führung von Mitarbeitern. Bei Überlegungen und Analysen beschäftige ich auch immer wieder mit der Frage, ob und wie es in der Zukunft mit dem Personalmanagement weitergeht.

Durch Corona kommt aktuell etwas Schwung in den Arbeitsmarkt. Kurzarbeit und vereinzelte Insolvenzen lassen wieder mehr Menschen aktiv auf die Suche gehen. Zuletzt war ja kaum noch Personal zu finden. Glauben Sie, dass wir hier eine generelle Trendwende erleben?

Es gibt bestimmt einige Unternehmen, denen eine Trendwende oder ein „Rückwärtsgang“ gefallen würde. Ich denke dabei an das Verständnis von Bewerbern als „Bittsteller“. Ich nehme aber an, dass dies nicht der Fall sein wird.

Unternehmen sind gut beraten, sich auf ihre Stärken als Arbeitgeber zu konzentrieren.

Es wird wieder schnell zu Fachkräfteengpässen kommen und die Unternehmen sind gut beraten, sich auf ihre Stärken als Arbeitgeber zu konzentrieren, um attraktiv für ihre Mitarbeiter zu sein und dadurch auch die nötige Aufmerksamkeit bei neuen Mitarbeitern zu erreichen. Hier wird auch in Zukunft das aktive Recruiting mit innovativen Ideen und Ansätzen mehr denn je gefragt sein.

Sie sind unter anderem bekannt durch Ihre Veranstaltung, den HR-Innovation Day, der dieses Jahr - wie viele andere - nicht stattfinden konnte. Gibt es Pläne, das Format künftig online durchzuführen?

Offen gesagt nein, denn meine Erfahrung ist, dass es in den letzten Monaten zu einem extremen Überangebot an mehr oder minder guten Online-Events gab.  Meine Ressourcen lassen eine professionelle Organisation und Begleitung eines Online-Events in dieser Situation bedauerlicherweise nicht zu.

So hoffe ich, wie viele andere auch, dass es bald zu einer Normalisierung der Situation kommt. Ich freue mich bereits jetzt auf die persönlichen Begegnungen beim nächsten Event an meiner Hochschule. Diese Begegnungen zählen zu besonderen Vorteilen des HR Innovation Days und werden von den Teilnehmern auch sehr geschätzt. Ich werde jedoch einzelne Events durchführen, um insbesondere den Kontakt zu meinen Alumni nicht abreißen zu lassen.

Auf Ihrem Leipziger-HRM-Blog war jüngst auch eine erste Zwischenbilanz zum Thema Homeoffice zu finden. Was denken Sie über remote-only Arbeit? Ist dies ein Modell für die Zukunft?

Nein! Remote-only-Lösungen gehört meiner Meinung nach nicht die Zukunft. Es sollte immer um ein kluges Verhältnis zwischen den verschiedenen Arbeitsformen geben.

Hier sind hybride Lösungen gefragt, d.h. betriebsspezifische Lösungen, die die Erwartungen der Mitarbeiter und Unternehmen gleichermaßen berücksichtigen.

Dafür gibt es jedoch keine Patentrezepte. Jedes Unternehmen bzw. sogar jedes Team muss eigene Lösungen finden, die der jeweiligen Situation und den konkreten Aufgaben entsprechen. Dies bedeutet beispielsweise, dass an bestimmten Tagen im Büro und an anderen Tagen mobil oder auch in einem Coworking-Space gearbeitet wird.

Wichtig ist, dass aus den Erfahrungen der letzten Monate gelernt wird, um das richtige Verhältnis zwischen Arbeit im Büro, Zuhause und ggf. an anderen Orten zu finden.

Nicht zuletzt sind die Führungskräfte besonders gefragt, weil auf eine neue Art und Weise geführt werden muss. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es in den Unternehmen auch viele Mitarbeiter gibt, die nicht mobil tätig sein können.

Wie muss sich die Personalgewinnung künftig aufstellen, um erfolgreich zu sein?

Eine erfolgreiche Personalauswahl sollte stets die Performance des Unternehmens im Blick haben. Demzufolge muss die Personalauswahl interdisziplinär, wissenschaftlich fundiert, systematisch und unabhängig davon erfolgen, welche betrieblichen Akteure jeweils einbezogen werden und ob es sich um einen passiven oder aktiven Rekrutierungsprozess handelt.

Ausgangspunkt sollte immer eine fundierte Anforderungsanalyse sein, an die sich die Wahl der adäquaten Instrumente bzw. der Methoden der Eignungsdiagnostik anschließt.

Recruiter sollten nachweisbar über aktuelle Kompetenzen im Bereich Eignungsdiagnostik verfügen und im Auswahlprozess die vorliegenden Erkenntnisse zu Candidate Experience und zur kulturellen Passung der Bewerber berücksichtigen. Und: Bei der Auswahl darf es nicht nur um die Ist-Kompetenzen gehen, sondern es muss auch um die Potenziale der Kandidaten für ihre weitere Entwicklung sind verstärkt zu berücksichtigen.

Sie sind u.a. auch auf Twitter sehr aktiv. Wie stehen Sie zu Twitter als Recruiting Channel?

Twitter hat sich als Recruiting Channel nicht etabliert und ich sehe auch nicht, dass es – abgesehen von ausgewählten Tätigkeitsprofilen – dazu kommen wird. Twitter ist aber ein hervorragendes Medium – auch für Bewerber – sich über aktuelle Entwicklungen bei künftigen Arbeitgebern zu informieren und von kontroversen Meinungen und Einschätzungen zu erfahren. Für mich ist Twitter nach wie vor das Mittel der Wahl, um wirklich brandaktuelle Informationen zu bekommen.

Twitter verschafft mir unschätzbare Informationen zu den Entwicklungen in meinem Fachgebiet und lässt mich mehr oder minder aktiv an laufenden Diskussionen teilhaben. Twitter erlaubt mir dadurch immer wieder aufs Neue, meinem Leitbild als „Connected Professor“ zu entsprechen.

Was sind aus Ihrer Sicht valide Techniken im Recruiting, um eine Passung von Unternehmen und Kandidat zu erkennen?

Damit sprechen Sie das Instrumentarium der klassischen Eignungsdiagnostik an, um die Berufseignung oder die Passung der Bewerbern zu einer zu besetzenden Stelle festzustellen.

Hier setzen viele Personaler nach wie vor eher auf Bauchgefühl und Intuition und weniger auf wissenschaftlich fundierte Verfahren, um den künftigen Erfolg einer Person für ein bestimmte Aufgabe zu bestimmen.

Die vorliegenden Erkenntnisse der Eignungsdiagnostik werden hierbei aus verschiedenen Gründen viel zu wenig berücksichtigt. Hier lohnt sich ein Blick in vorliegende Studien, wie die Meta-Analyse von Schmidt, Oh und Shaffer aus dem Jahr 2016 mit umfassenden Informationen zur Validität verschiedener Verfahren, aber auch in die einschlägige DIN 33430.

Wichtig sind auch Aktivitäten wie die der „recruitingsrebels e.V.“, die sich eine deutliche Professionalisierung der Personalauswahl vorgenommen haben. Nicht unerwähnt bleiben sollen aktuelle Verfahren, die neben der professionellen Passung der Kandidaten auch deren kulturelle Passung berücksichtigen.

Joel Spolsky, der Gründer der bei EntwicklerInnen bekannten Plattform Stack Overflow hat gesagt:

„Would you hire a magician without asking them to show you some magic tricks? Of course not! Would you hire a caterer for your wedding without tasting their food? I doubt it. Do whatever you want during interviews, but make the candidate write some code.“

Halten Sie Persönlichkeitstests und Leistungstests im Bewerbungsprozess für ein wirksames Mittel?

Ja, richtig eingesetzt, können vor allem Leistungstests aber auch wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitstests gute Aussagen zur Eignung einer Person liefern. Auch das hier von Spolsky angesprochene Coden ordne ich bei den Leistungstests ein. Diese Tests haben natürlich auch den Vorteil, dass sie eine aktuelle Einschätzung der Fähigkeiten von Bewerbern jenseits von Noten und Zeugnissen ermöglichen und gut an die konkreten Gegebenheiten in den Unternehmen angepasst werden können.

Zum Abschluss: Welche Tipps würden Sie einem Startup geben, wenn es genug Geld hat, weitere Mitarbeiter einzustellen?

Bereits zu Beginn weniger auf persönliche Eindrücke von potenziellen Mitarbeitern zu setzen, Empfehlungen von Partnern nicht ungeprüft zu berücksichtigen, sondern stets eine ausgewogene und fundierte Prüfung der Eignung von potenziellen Mitarbeitern vorzunehmen. Dabei ist es hilfreich, auf die Erfahrungen anderer Unternehmen und die Expertise von geeigneten Beratern zurückzugreifen. Oft lohnt sich auch der frühzeitige Aufbau einer eigenen Personalfunktion.

Welche Probleme aus falschen Entscheidungen im Recruiting entstehen, erfahre ich häufig, wenn ich Kontakt mit Startups habe. Die Folgen dieser Entscheidungen sind oft beträchtlich und können Startups in wichtigen Phasen ihrer Entwicklung bremsen und sogar zurückwerfen. Ein kluges Recruiting auf wissenschaftlicher Basis wird sich in jedem Fall langfristig auszahlen.

Prof. Wald, herzlichen Dank für die spannenden Einblicke und Ihre Bereitschaft zu diesem Interview.

Peter M. Wald studierte von 1981 bis 1985 Arbeitswissenschaften und promovierte 1988. Ab 1991 war er im Bereich Human Resources von nationalen und internationalen Unternehmen und ab 2002 als Professor an der HTW Dresden tätig.

Seit 2009 ist er Professor für Personalmanagement an der Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.

Er ist Autor und Co-Autor verschiedener Beiträge zu den Themenbereichen Candidate Experience sowie Arbeit 4.0 und Recruiting. In der Forschung interessiert ihn vor allem der Einsatz digitaler Medien bei der Mitarbeiterführung. Prof. Wald ist aktiver Twitterati und bloggt im eigenen Leipziger HRM-Blog.

Facebook
WhatsApp
Twitter
LinkedIn
Pinterest