Marcus Fischer über den Technologieeinsatz zur Talentgewinnung

In unserer Interviewreihe mit Expert:innen aus dem Personalbereich stellen wir regelmäßig interessante Menschen vor. Wir sprechen heute mit Marcus Fischer, Leiter für Talentgewinnung, Recruiting und Employer Branding der Zürcher Kantonalbank.

FYLTURA: Lieber Marcus, magst du dich unseren Leser:innen kurz vorstellen?

Hallo Anne-Cathrin, freut mich sehr und Danke für die Einladung zum Interview! Wer ich bin? In aller Kürze: Seit vielen Jahren Recruiter und Employer Brander mit Leib, Seele und ausgeprägtem Hang zu HR-Tech.

Ich durfte in meiner Karriere schon in verschiedenen Branchen tolle Menschen für spannende Jobs in Top-Unternehmen gewinnen: Aquent, Audi, Baloise Group, Textkernel, Straumann und seit Februar 2021 darf ich das für die Zürcher Kantonalbank, der grössten Kantonalbank der Schweiz und damit einer der führenden Schweizer Banken, tun.

Außerdem betreibe ich zusammen mit Martin Maas, mit dem ihr ja auch schon gesprochen habt, eine kleine, aber feine Employer Branding Beratung: Time4Hires.

Ich bin Nordhesse, erfolgreich verheiratet und werde täglich von zwei Teenagern gefordert – meiner familieninternen Test-Unit für neue Konzepte.

Erst vor kurzem hast du den Schritt gewagt und einen Branchenwechsel vorgenommen. Was hat die Zürcher Kantonalbank bei ihrem Employer Branding besonders gut gemacht?

Das ist einfach: Sie hat den Kern Ihrer Positionierung gelebt: “Die nahe Bank”. Vom ersten Kontakt an war es ein sehr positiver Austausch auf Augenhöhe. Keine Aufführung, keine Show, kein Schönreden. Da haben Menschen miteinander gesprochen, die etwas bewegen wollen. Mit hoher Authentizität und Passion. Und das passt zu mir.

Du hast bereits in einigen Branchen gearbeitet - inwiefern hat sich das Recruiting und die Auswahlverfahren in diesen Branchen unterschieden?

Das Grundprinzip im Recruiting ist überall gleich. Unterschiede entstehen durch die Stärke der jeweiligen Marke, deren Produkte und daraus folgend der gesuchten Berufsbilder. Schließlich spielen auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen eine Rolle, wobei die eigentlich immer zu knapp sind. Es ist sicher nicht überraschend, dass man ITler anders selektiert als Vertriebler. Jenseits der Fachkenntnisse gibt es aber kaum Unterschiede, die Feststellung der kulturellen Passung läuft fast überall gleich.

Du arbeitest seit 1998 mit Testverfahren. Welche Entwicklung konntest du in diesem Gebiet beobachten und welche Erfahrungen hast du gemacht?

Es ist heute normal mit Testverfahren Auswahlentscheidungen zu validieren, das war damals noch kaum verbreitet – erst recht nicht digital. 1998 haben wir in erster Linie Programmierer:innen und Grafiker:innen getestet. Das war noch stark binär: Richtige Antwort gefunden/Aktion ausgeführt: gewonnen, sonst verloren. Aber selbst das war hilfreich.

Ich erinnere mich dann noch gut an 2001, da haben wir mit Jo Dierks und seiner CYQUEST Crew die Karrierejagd durchgeführt, ein gaming-basiertes Online-Assessment, welches auch Persönlichkeitsattribute beschrieben hat. Das war super spannend, hat uns aber damals eigentlich noch komplett überfordert. Das Vertrauen in die Profile, die wir da erhalten haben, war – zu Unrecht – überschaubar.

Heute sehen wir ein sehr hohes Level an Personalisierung mit guter Usability für alle Beteiligten und viele Anbieter, die mit AI und ihren Algorithmen arbeiten. Das Einzige, was sich wahrscheinlich nicht geändert hat, ist die Skepsis der Talente, die das trotzdem nicht lieben.

Du hast bereits mit innovativen Recruiting Strategien gearbeitet - wie stehst du zu Testverfahren als valides Auswahlinstrument?

Ich würde Testverfahren generell nicht mehr mit dem Label “innovativ” versehen – sie sind heute fixer Bestandteil des Recruiting-Toolsets und ihre Validität steht für mich außer Zweifel. Für mich sind sie wichtiges und wertvolles Unterstützungswerkzeug im Auswahlprozess. Allein auf Testverfahren würde ich mich aber trotzdem nicht verlassen – sie sind ein Puzzleteil des Gesamtbildes.

Wie evaluiert ihr das fachliche Know-how eurer Bewerber:innen?

Das ist unterschiedlich, wir gehen da nicht nach dem “one-size-fits-all” Prinzip vor. Tests, Assessments, Business Cases, Interviews, Arbeitsproben – das Spektrum ist da breit. Die persönliche Einschätzung der zukünftigen Kollegen spielt aber nach wie vor eine zentrale Rolle.

Bleiben wir beim Recruiting - welche Erfahrungen hast du in deinen letzten Jobs bei der Optimierung von Recruiting-Prozessen gesammelt?

Das war und ist immer Kernbestandteil meiner Arbeit. Ich bin Pragmatiker und verfolge die Maxime “Weniger ist mehr”.

Mein Ziel ist es, dass die Prozesse nicht zur Last werden, sondern im Idealfall nicht aufhalten.

Ich bin kein “Häkchensetzer”. Technologie spielt bei der Optimierung, wenig überraschend, eine zentrale Rolle – richtig genutzt ermöglicht sie uns heute eine individuellere Beschäftigung mit den Talenten. Ein Riesengewinn für alle Beteiligten. Blicke ich zurück, ist es unglaublich, wie einfach heute viele Dinge sind, die vor einigen Jahren undenkbar erschienen.

Was hat bei dir die Leidenschaft für deinen Job geweckt und was reizt dich daran besonders?

“Was mit Menschen machen..:” *LACH*, Spaß beiseite.

Es sind zwei Dinge: Zum einen habe ich die Chance, sehr viele spannende Menschen kennenzulernen und mehr über ihre Erwartungen und Wünsche zu erfahren – das fasziniert mich bis heute jeden Tag neu. Zum anderen kann ich meine Technikbegeisterung ausleben und neue Tools und Konzepte nutzen – ich liebe das.

Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich in einem so spannenden und agilen Tätigkeitsfeld unterwegs sein darf. Und wenn ich das dann noch mit tollen Menschen um mich herum teilen darf, ist es das Sahnehäubchen auf dem Kuchen für mich.

Unser letztes Interview haben wir mit deinem Partner von Time4Hires, Martin Maas, geführt - er plädiert für mehr gelebte und echte Authentizität im Employer Branding und für eine neue Fehlerkultur. Wie genau sieht das in eurem Arbeitsalltag aus?

Das sollte eigentlich keiner Erläuterungen bedürfen. Authentizität ist das Fundament der Arbeitgeberkommunikation. Dazu muss man aber auch kontinuierlich den Blick in den Spiegel der Selbsterkenntnis lenken.

Was man dort sieht, ist nicht immer makellos, aber strahlt hoffentlich Sympathie und Leidenschaft aus – also sollte man überlegen, wie viel Make-Up man auflegt, um im Bild zu bleiben.

Denn das erste, was bei starkem Schminken verschwindet, ist das Einzigartige und die Emotion – und genau das ist es, was meist den Ausschlag für eine Karriereentscheidung liefert.

Zur neuen Fehlerkultur, die ich aber auch nicht als neu bezeichnen würde: Der konstruktive Umgang mit Fehlern ist wichtig, da wir in einer Welt leben, die nur noch selten beherrschbar und voraussehbar ist – zu viele externe Faktoren beeinflussen den Erfolg unserer Aktivitäten.

Der Weg zum Erfolg führt über Versuch und Irrtum – ein konstanter Lern- und Optimierungsprozess.

Fatal wird es nur, wenn man aus Fehlern nichts lernt. In unserem Fachgebiet sind Fehler Teil des kreativen Entwicklungsprozesses. Wenn man eine Nullfehlerkultur lebt, wird man heute nicht sehr weit kommen – man verschenkt zu viele Opportunitäten.

Welches Buch, Blog, Podcast, Veranstaltung würdest du einem Neuling im HR empfehlen?

Es gibt zu viel, um es hier aufzuzählen. Ich würde Neueinsteigern empfehlen, sich schnell online zu vernetzen und mit Gleichgesinnten zu sprechen und von deren Erfahrungen zu lernen. Die Community rund um Recruiting und Employer Branding – national wie international – ist klasse, die Leute sind offen, helfen und freuen sich über Vernetzung. Offline bin ich HRbarcamper der ersten Stunde – der einzige Event-Termin, der in meinem Kalender nie gestrichen wird. Aber es gibt natürlich auch sonst noch viele gute Events.

Und wer das nicht mag, dem empfehle ich, Blogs zu lesen. Das hat den Vorteil, dass die Infos sehr aktuell sind und der Lesestoff nie ausgeht. Ich hab vor einiger Zeit mal die Blogroll veröffentlicht, die ich so durcharbeite – da findet sich für jeden etwas.

Welche Expertin oder welchen Experten aus der HR-Welt würdest du uns für ein Interview ans Herz legen? Gibt es für dich sowas wie ein Vorbild?

Vorbilder finde ich schwierig, ich denke jeder muss seinen Weg finden. Es gibt sehr viele tolle, inspirierende Kolleginnen und Kollegen, die einen tollen Job machen und mit denen ich gerne spreche. Unter anderem mit Barbara Braehmer, vielleicht lässt sie sich für ein Interview mit euch begeistern.

Marcus, herzlichen Dank für die spannenden Einblicke und deine Bereitschaft zu diesem Interview.

Aquent, Audi, Baloise, Textkernel, Straumann und zuletzt die Zürcher Kantonalbank: Talentattraktion in verschiedenen Branchen, von großen Unternehmen bis hin zu Start-ups: Marcus Fischer konnte in seiner Karriere viele Dinge schaffen und gestalten.

Momentan ist er als Leiter für Talentgewinnung, Rekrutierung und Employer Branding bei der Zürcher Kantonalbank tätig.

Marcus ist auf fast allen relevanten Plattformen aktiv und ein überzeugter Verfechter des Credo “Sharing is Caring”: Als Tutor für das Thema “Personal Branding for Recruiters” teilt er sein Wissen auf Digital-recruiter.com und als Partner bei Time4Hires unterstützt er Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Arbeitgebermarke und der Optimierung ihrer Rekrutierungsaktivitäten.

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