Wunsch oder Wirklichkeit – sozial erwünschtes Antwortverhalten bei Bewerber:innen

Kandidat:innen präsentieren sich in Jobinterviews bewusst in einem guten Licht und geben Recruiter:innen somit nur bedingt die Chance, hinter ihre Fassade blicken zu können.

Welche Möglichkeiten gibt es daher, trotz des Phänomens der sozialen Erwünschtheit ein echtes und ehrliches Bild von Bewerber:innen zu erhalten?

Was ist soziale Erwünschtheit?

Unter sozialer Erwünschtheit verstehen wir das Bestreben, uns so zu verhalten oder so zu antworten, um die Erwartungen anderer zu erfüllen bzw. eine soziale Ablehnung zu vermeiden. Das bedeutet, wir stellen uns in einem besseren Licht dar, als wir es in Wirklichkeit sind. Wir antworten so, wie wir glauben, antworten zu müssen, um als guter Mensch gesellschaftlich akzeptiert dazustehen.

Dieses Verhalten ist völlig normal und bei den meisten Menschen ausgeprägt. Bis zu einem gewissen Maße ist auch soziale Erwünschtheit erwünscht. Wenn der neue Mitarbeitende auf eine Kundin trifft, wollen wir, dass sich der Mitarbeitende sozial erwünscht verhält und eine positive Grundstimmung herrscht.

Bei der Beantwortung von Fragebögen und bei Befragungen können durch die Tendenz, die Fragen so zu beantworten, wie wir denken, dass es sozial erwünscht ist, die Ergebnisse jedoch verfälscht werden. Wenn Bewerber:innen sich also in berufsbezogenen Persönlichkeitstests positiver darstellen, als sie sind, ist das kein Betrug, sondern menschlich und der Effekt der sozialen Erwünschtheit.

Das Zusammenspiel von Selbst- und Fremdtäuschung

Entscheidend bei der Entstehung von sozialer Erwünschtheit ist das Zusammenspiel der bewussten Fremdtäuschung sowie der Selbsttäuschung, bei der die Person davon ausgeht, dass die Einschätzung tatsächlich auf sie zutrifft.

Fremdtäuschung bezeichnet die bewusste Verfälschung der Antwort mit dem Ziel, ein möglichst günstiges Bild von sich abzugeben.

Im Kontrast zur Fremdtäuschung wird mit Selbsttäuschung die Tendenz zu einem Antwortverhalten bezeichnet, das dem Schutz des Selbstbildes und des Selbstwertgefühls dient.

In Abgrenzung zur Fremdtäuschung definiert Paulhus Selbsttäuschung als „a less conscious attempt to look good to oneself“ (Paulhus, 1986, S. 146).

Selbsttäuschung ist eine Tendenz, die Realität in einer optimistischen Weise verzerrt wahrzunehmen.

Eine gewisse Tendenz zur Selbsttäuschung ist nach Paulhus kennzeichnend für ein gut angepasstes und psychisch gesundes Individuum.

Laut zahlreicher Studien ist unsere Tendenz zur Selbsttäuschung ein Nebenprodukt des Versuchs, uns gegenüber anderen durchzusetzen. Denn um überzeugend aufzutreten, müssen wir zunächst selbst überzeugt sein.

In der Personalauswahl meint soziale Erwünschtheit, dass Bewerber:innen dazu tendieren, sich besser darzustellen, indem sie positive Eigenschaften hervorheben und negative herunterspielen.

Dies betrifft vor allem Eigenschaften von denen die Kandidat:innen ausgehen, dass sie für den angestrebten Job besonders wichtig sind und weil sie zu wissen glauben, welche Antworten als positiv bewertet werden. Diese Tendenz ist bei jeder Art von Eignungsverfahren erkennbar – ob Anschreiben, Interview, Test, mitunter sogar beim Lebenslauf. Eine überzogene Selbstdarstellung wird jedoch problematisch, wenn sich am Ende ein vermeintlich passender Kandidat als doch nicht optimal herausstellt.

Dies hat nicht nur Nachteile für das Unternehmen, sondern vor allem für den Kandidaten selbst. Mitunter übertreiben Bewerber:innen bei gewissen Eigenschaften zu stark, die sie als sehr erwünscht einschätzen, ohne sich über deren negative Auswirkungen Gedanken zu machen.

Dies wird an folgendem Beispiel deutlich: Eine weit überdurchschnittlich gewissenhafte Person ist zwar sehr strukturiert und ordentlich, neigt aber auch zu Perfektionismus und dadurch auch zu einem geringeren Arbeitstempo. Wird jedoch für eine Stelle jemand benötigt, der schnell Entscheidungen treffen kann, wird diese Person sich vermutlich selbst ins Aus spielen.

Auf der anderen Seite kann es auch passieren, dass einer Person aufgrund überschätzter Antworten Aufgaben zugeteilt werden, die ihr nicht liegen oder ihr keinen Spaß machen, wodurch die Motivation auf der Strecke bleiben wird.

Selbstdarstellung durch sozial erwünschtes Antwortverhalten komplett auszuschließen, ist im Bewerbungsprozess schwierig. Es kann aber mit geeigneten eignungsdiagnostischen Verfahren und mehrstufigen Auswahlprozessen erkannt werden.

Sind „sozial erwünschte“ Antworten wirklich nicht wünschenswert?

Das populärste Argument gegen eine Anwendung von Persönlichkeitstests in der Personalauswahl ist die Möglichkeit der Bewerber:innen Antworten zu manipulieren.

Jedoch spielt das gar keine entscheidende Rolle, wenn mehrere Kandidat:innen zur Auswahl stehen. In dem Falle wird eine Rangfolge der Kandidat:innen (Bestenauslese) erstellt. Diese beinhaltet mehrere Informationsquellen und im besten Falle auch solche, die unabhängig von sozialer Erwünschtheit sind. Dies könnten beispielsweise Arbeitsproben sein.

Zudem wird soziale Erwünschtheit auch häufig als Mittelwertsvergleich betrachtet. Diese Methode geht allgemein davon aus, dass sich Bewerber:innen in der Auswahlsituation ausnahmslos besser darstellen, als sie in der Realität sind und sozial erwünscht antworten.

Studien haben gezeigt, dass in Bewerbungssituationen die meisten Personen dazu neigen, ihre Stärken zu betonen und Schwächen herunterzuspielen (Marcus, B. (2003) Fachartikel in der “Zeitschrift für Psychologie”). In dem Fall unterschieden sich die Mittelwerte bei Persönlichkeitseigenschaften zwischen Bewerbungssituationen und Nicht-Bewerbungssituationen (neutrale Situation). Die Rangfolge von Bewerber:innen bleibt aber gleich, da diese nicht durch eine Mittelwertverschiebung beeinflusst wird.

Beispiel: Gibt Kandidat:in 1 an, deutlich extrovertierter und offener zu sein als Kandidat:in 2, dann wird das in der Realität auch so sein – auch wenn Kandidat:in 1 vielleicht etwas weniger offen oder extrovertiert ist als angegeben.

Soziale Erwünschtheit zeigt sich bei allen eignungsdiagnostischen Mitteln, also auch bei Interviews oder Assessment Centern (Hossiep et al., 2000; Ones & Visweswaran, 1998). Argumentiert man also, dass Persönlichkeitstest aufgrund von möglicher sozialer Erwünschtheit nicht eingesetzt werden sollten, dann dürfte man gar keine Eignungsdiagnostik betreiben, da diese fast immer eine Rolle spielt.

Fazit

Eine sozial erwünschte Darstellung der eigenen Person ist ein Zeichen von Kompetenz und zeigt, dass die Person gut sozial interagieren kann und die Anforderungen der Stelle verstanden hat.

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