Christoph Athanas: Das Bauchgefühl ist ursächlich für Fehlentscheidungen in der Personalauswahl

In unserer Interviewreihe mit Expert:innen aus dem Personalbereich stellen wir regelmäßig interessante Menschen vor. Wir sprechen heute mit Christoph Athanas. Los geht‘s…

Lieber Christoph, bitte stellst du dich unseren Leser:innen kurz vor?

Hallo, ich bin Gründer und Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung. Mit meiner Firma unterstütze ich Arbeitgeber dabei, im Recruiting und in der Arbeitgeberattraktivität erfolgreicher zu werden. Mein Background ist der des Sozialwissenschaftlers und Organisationsentwicklers.

Seit 2004 bist du als HR-Berater tätig. Was ist dein Steckenpferd?

Es muss wohl Steckenpferde heißen, denn es sind mehrere Themen, die aber alle miteinander zu tun haben. Ich beschäftige mich im Recruiting besonders mit den Themen Cultural Fit und Candidate Experience. Dies tue ich aus der Überzeugung heraus, dass Recruiting und Jobsuche kandidatenorientiert und auf Augenhöhe einerseits und effektiv und effizient auf der anderen Seite sein sollten. Davon profitieren Arbeitgeber wie Jobsucher. Das Thema Candidate Experience habe ich gemeinsam mit Prof. Peter M. Wald von der HTWK Leipzig und der Stellenbörse Stellenanzeigen.de bereits im Jahr 2014 per großer Studie untersucht. Damit waren wir die ersten im deutschsprachigen Bereich und haben viel für unsere Beratungsarbeit gelernt. Quasi als Überbau zu den genannten Recruitingthemen arbeite ich auch im Feld Employer Branding.

Mit meta HR habt ihr ein Tool entwickelt, das den Cultural Fit messen kann. Wie funktioniert das genau?

Genau. Das ist der Cultural Fit Evalueator. Das Tool macht das Thema kulturelle Passung zwischen Bewerbern und Arbeitgebern messbar, sichtbar und besprechbar. Wir haben ein wissenschaftliches Modell adaptiert und daraus einen Test gebaut, den Jobsucher in wenigen Minuten online machen können. Das Ergebnis wird instant mit der Kulturvorgabe des Arbeitgebers gematcht. Im Zentrum stehen dabei Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede bei Wertevorstellungen und kulturkritischen Verhaltensweisen. Die Arbeitgeber können mit dem Tool übrigens vor dem Recruiting-Einsatz eine Survey machen und so ihr eigenes Kultur-Setup erkunden.

Du bist Mitinitiator vom HR Barcamp. Was macht dieses Format so besonders?

Ja, zusammen mit Jannis Tsalikis. Wir haben das HR BarCamp 2012 erstmalig aus der Taufe gehoben. Seitdem findet das Event jährlich mit ca. 200 Personen statt. Das HR BarCamp ist ein nicht-kommerzielles Event, welches inhaltlich vollständig von den Teilnehmenden selbst bestimmt wird. An Personalthemen Interessierte bringen ihre Inhaltsvorschläge ein und darüber wird gemeinsam abgestimmt. So wird sichergestellt, dass die Agenda auf dem Event immer interessant ist und jeder/jede teilhaben und sich einbringen kann. Außerdem waren wir wohl die ersten, die eine HR-Konferenz mit dem Anspruch auf viel Spaß mit fachlich ambitionierten Diskussionen verbunden haben. Dieser besondere Spirit hat zu einer Art Kult-Status in der HR-Szene geführt.

Welches Buch, Blog, Podcast oder Veranstaltung die sich mit Personalthemen beschäftigt, würdest du empfehlen?

Ich bin ein großer Fan der Arbeit von den Kollegen bei der Wollmilchsau. Deren Blog und Studien sind stets lesenswert. Auch bin ich Fan von Marcel Rüttens Blog “HR4good”. Letztlich kann ich natürlich auch mein eigenes neuestes Projekt empfehlen: HR Total. Das ist eine HR-Infotainment Show auf Youtube, wo von mir moderiert stets aktuelle News für Personaler/innen vorgestellt und Trendthemen besprochen werden. Das alles im leichtgängigen Video-Format mit gleichfalls hohem Informationsmehrwert.

Welche Trends und neue Herausforderungen gibt es im Employer Branding?

Ich sehe vor allem eine Art “Dauerherausforderung” im Employer Branding, die nicht neu aber immer Trend ist: Unterscheidbar sein!

Recruiting-Optimierung: Wie läuft ein Auswahlprozess idealerweise ab?

Da gibt es nicht unbedingt einen Idealprozess. Es orientiert sich stark an Anforderungen, den gesuchten Personen und der Verfügbarkeit der Zielgruppe. Will meinen: Bei sehr gut verfügbaren Zielgruppen und Profilen, wird der Prozess mehr Augenmerk auf das “Pre-Selecting” vor dem “Selecting” legen müssen. Bei wenig verfügbaren Zielgruppen ist das kaum möglich und es kann direkt ins Selecting gehen.

In jedem Fall ist ein guter Auswahlprozess auch immer kandidatenorientiert und damit schnell, transparent und natürlich anforderungsbezogen.

Passende Diagnostik kann dabei helfen!

Inwieweit spielt das Bauchgefühl bei Personalentscheidungen eine Rolle?

Es spielt eine Rolle, weil wir Menschen sind. Bauchgefühl ist wichtig, weil wir uns bei der Urteilsbildung dem nicht vollständig entziehen können. Problematisch ist, dass es ursächlich ist für die meisten Fehlauswahlen.

Letztlich sind das Beurteilungsfehler.

Dementsprechend ist es bedeutend seine eigenen Präferenzen und Abneigungen zu kennen. Dann können wir unser Bauchgefühl besser hinterfragen. Dazu hilft natürlich eine gut Auswahlmethodik und die Beachtung von qualitätssichernden Standards, wie bspw. mehrere Beobachter einzusetzen oder Beobachtung und Bewertung zu trennen.

Was können Personalentscheider:innen konkret tun, um die Candidate Experience zu verbessern?

Die Candidate Experience besteht aus drei Dimensionen: Klarheit, Ergebnisorientierung und Wertschätzung. Alle am Recruiting beteiligten Unternehmensvertreter sollten sich dessen bewusst sein und der Prozess und das Verhalten jener Vertreter entsprechend überprüft werden: Schafft es Klarheit (z.B. bzgl. der Anforderungen)?

Ist es ergebnisorientiert (z.B. werden Wartezeiten im Prozess für die Kandidaten minimiert)? Verhalten und kommunizieren die Vertreter mit den Kandidaten wertschätzend?

Wenn diese Aspekte gegeben sind, dann sind die Chancen hoch, eine gute Kandidatenerfahrung zu kreieren.

Stichwort Digitalisierung: Welche Bedeutung wird das klassische Bewerbungsgespräch in Zukunft haben?

Das Bewerbungsgespräch wird immer einen hohen Stellenwert für beide Seiten behalten. Inwiefern das “klassisch”, also face-to-face passieren muss, ist fraglich. In den Lockdowns haben Remote-Ansätze häufig recht gut funktioniert. Dennoch vermute ich, dass letztlich die mindestens einmalige Vor-Ort-Begegnung vor der finalen Entscheidung, ob es eine Jobangebot gibt bzw. ob jemand dies annimmt, bei den allermeisten weiterhin hoch im Kurs stehen wird.

Also: Das Bewerberinterview wird uns erhalten bleiben.

Im Drumherum, wie bspw. der Administration oder für Diagnostik im Vorfeld wird es sicher immer mehr digitale Supports geben.

Aktuell befasst du dich mit Prof. Wald wieder mit einer Studie. Worum geht es genau?

Ja, wir machen aktuell die Candidate Experience Studie 2021. Sie wird im Spätsommer oder Herbst rauskommen. Wir wollen wissen, was sich im Thema getan hat und wie z.B. die Corona-Krise sich auf die durchschnittliche Candidate Experience ausgewirkt hat.

Welche Expert:innen und/oder Vorbild in der HR-Welt legst du uns für ein Interview ans Herz?

Wo ich seinen Blog schon lobend erwähnt habe, ist das leicht: Sprecht unbedingt mit Marcel Rütten. Der hat vor allem auch tolle Einblicke hinsichtlich Praktikanten- und Absolventengewinnung und ist auch sonst ein spannender Gesprächspartner.

Lieber Christoph, besten Dank für die spannenden Einblicke und deine Bereitschaft zu diesem Interview. Auf bald im HR BarCamp :)!

Christoph Athanas ist Gründer und Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH, welche seit dem Jahr 2008 Unternehmen bei der Recruiting-Optimierung und in Fragen der Arbeitgeberattraktivität berät. Er macht in seiner Beratungsarbeit innovative Ansätze für den HR-Alltag nutzbar. Christoph Athanas gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter in Deutschland im Hinblick auf die Themen Candidate Experience und Cultural Fit.

Seit 2009 schreibt er den viel beachteten meta HR Blog und gehört somit zu den Pionieren der HR-Bloggerszene. Zudem ist er Mit-Initiator der jährlichen HR BarCamps.

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